Seit Jahren plane ich ein Buch für den Pazifismus – und bin doch jedes Mal, wenn es hätte ernst damit werden können, davor zurückgeschreckt. Jetzt muss es sein; nachdem Wladimir Putin Ende Februar des Jahres 2022 seine mörderischen Truppen auf ukrainisches Territorium losgelassen hat, werden wir Pazifisten in zunehmend höhnischem Ton kritisiert. Da ist es an der Zeit, eine Verteidigung gegen viele der Einwände auf den Tisch zu legen. Wie ich zugeben muss, sind einige Einwände mehr als berechtigt – mit der Folge, dass ich nicht ohne Änderungen dessen auskommen werde, wie der Pazifismus für gewöhnlich verstanden wird. Mein Ziel besteht darin, ihn bei dieser Umformulierung nicht zu sehr aufzuweichen – es bleibt dabei, dass ich mich als Pazifist gegen kriegerische Handlungen ausspreche, doch tue ich dies mit einem Schuss Pragmatismus und weniger apodiktisch, als vielleicht zu erwarten wäre: Am Ende werde ich Ihnen meine Selbstzweifel angesichts des gegenwärtigen Kriegs nicht verhehlen. Doch der Reihe nach; als Allererstes möchte ich kurz schildern, wie ich zum Pazifisten geworden bin.
Ich habe nichts gegen Soldaten; ich bin selbst einmal Soldat gewesen. Direkt nach dem Abitur leistete ich den Wehrdienst als Vorzimmersoldat in Celle nach drei Monaten Drill bei der Grundausbildung in Achim. Ich hatte und habe keine moralische Allergie gegen Schusswaffen, und überraschenderweise war nicht der körperliche Stress dieser Monate demoralisierend, sondern das Tragen einer Uniform: Als sie uns am zweiten Tag verpasst wurde, blieb mir und meinen Schulkameraden auf der Stube das Lachen im Hals stecken – schlagartig war’s aus mit der Individualität.
Hier hatten wir das erste Anzeichen für eine Tatsache von größerer Bedeutung. In deutschen Garnisonsstädten verschwinden soldatisch uniformierte Personen trotz ihrer beachtlichen Zahl gleichsam in einem toten Winkel der Wahrnehmung von Zivilisten; dass man die Soldaten vielleicht lieber nicht sehen will, passt zur merkwürdigen Gleichgültigkeit, mit der die Öffentlichkeit das Tun und Sterben unserer Soldaten in Afghanistan weitgehend auszublenden wusste. Oder um dasselbe durch ein verstörendes Erlebnis meiner Soldatenzeit zu illustrieren: Selbst als ich sie auf offener Straße grüßte, hat mich die eigene Mutter wegen meiner Uniform zuerst nicht erkannt. Spätestens da wurde mir klar, dass der Soldat nicht allzu sehr als Mensch betrachtet werden soll, wenn ein Krieg ansteht. Schlimmer noch: Wenn ein Krieg ansteht, soll überhaupt kein Betroffener ganz und gar als Mensch betrachtet werden, und das ist nicht gut.
Meine Zweifel an der Richtigkeit militärischer Tätigkeit verstärkten sich nicht lange nach dem Ende der Dienstzeit, und um nicht als Reservist aktenkundig zu werden, verweigerte ich den Dienst nachträglich mit einem verantwortungsethischen Plädoyer für die Abschaffung der Bundeswehr – was im Rahmen der Gewissensprüfung eigentlich so nicht zulässig gewesen wäre.
Seither verstehe ich mich zwar als Parteigänger des Pazifismus. Dennoch lehne ich Gewalt als Mittel zum Kampf gegen das Böse ausdrücklich nicht ab und finde beispielsweise die Idee eines Tyrannenmords erwägenswert.