Die Heterogenität der Finsternis – eine verrückte Idee?

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Die orthodoxe Erklärung des newtonischen SpektrumsDie orthodoxe Erklärung des newtonischen Spektrums: In dieser Abbildung sehen Sie ganz links schematisch (im vertikalen Schnitt) die Beleuchtungskonfiguration des Prismas in Newtons Grundexperiment: Ein weißes Quadrat repräsentiert den Sonnenlichtstrahl; die schwarzen Quadrate symbolisieren die Dunkelheit, die den Lichtstrahl oben und unten umgibt. Rechts daneben das Versuchsresultat, das Newton auf der Dunkelkammerrückwand auffängt: Insgesamt fünf farbige Quadrate in den Farben des newtonischen Vollspektrums. (Wir sehen davon ab, dass sich die Größen dieser Farbfelder de facto voneinander unterscheiden). In der Mitte der Abbildung sehen Sie Newtons theoretische Analyse der Beleuchtungskonfiguration: Das weiße Lichtquadrat ist die Summe aus (mindestens) fünf verschiedenfarbigen Lichtquadraten, über und unter denen keinerlei optische Kausalwirkungen vorliegen (durch den freigelassenen grauen Hintergrund angedeutet); dass die fünf farbigen Lichter beim Weg durchs Prisma – je nach Farbe – unterschiedlich weit vom Weg abgelenkt werden, ist in der Mitte der Abbildung oben angedeutet: Das blaue Quadrat wird bei prismatischer Refraktion z.B. um fünf Einheiten nach oben verschoben, das rote Quadrat dagegen nur um eine Einheit. Ganz rechts in der Abbildung sieht man, wie sich daraus das Versuchsergebnis verständlich machen lässt: Das blaue Quadrat kommt viel weiter oben an als das rote; entsprechend für die dazwischenliegenden bunten Lichtquadrate.
Die unorthodoxe Erklärung des GoethespektrumsDie unorthodoxe Erklärung des Goethespektrums: Wer sich noch nicht auf die newtonische Theorie festgelegt hat, kann Goethes umgekehrtes Grundexperiment durch folgende unorthodoxe Theorie erklären: Weißes Licht besteht aus gar nichts; Finsternis besteht aus den Farben Gelb, Rot, Purpur, Blau, Türkis; diese Finsternisstrahlen sind je nach Farbe divers refrangibel. Logik, Struktur und Geometrie der neuen Theorie sind exakte Abbilder der newtonischen Theorie – nur das Farbmaterial der neuen Theorie ist anders.
Experimentiervorlage fuers umgekehrte subjektive GrundexperimentExperimentiervorlage fürs umgekehrte subjektive Grundexperiment: Statt den ganzen Himmel umzukehren und ein schwarzes Loch vor sonnenhell gleißendem Himmel prismatisch zu untersuchen, hat Goethe das newtonische Grundexperiment zuerst subjektiv umgedreht. Damit ist er nicht von Newtons experimentellen Standards abgewichen; er machte alles genau wie im subjektiven Grundexperiment (siehe Abb. »Experimentiervorlage fürs subjektive Grundexperiment« aus Kapitel I.3). Der einzige Unterschied betrifft die Vorlage; sie ist jetzt dort weiß, wo sie bei Newton schwarz war und umgekehrt.
Die orthodoxe Erklärung des GoethespektrumsDie orthodoxe Erklärung des Goethespektrums: Hier sehen Sie links die newtonische Analyse der Beleuchtungskonfiguration im umgekehrten Grundexperiment: Der durchs Prisma fallende Schatten (schwarzes Quadrat) besteht aus gar nichts (durch den freigelassenen grauen Hintergrund angedeutet); die ihn umgebende Helligkeit besteht aus unzähligen Lichtern in den fünf Farben Blau, Türkis, Grün, Gelb und Rot. Deren Refraktionseigenschaften sind aus Abb. »Die orthodoxe Erklärung des newtonischen Spektrums« bekannt: Die blauen Lichter wandern bei Refraktion um fünf Einheiten nach oben, die roten nur um eine Einheit. Wer jedes der bunten Farbfelder nach dessen Reise durchs Prisma wiederfinden will, muss erheblichen Aufwand treiben; das Ergebnis ist in der rechten Hälfte der Abbildung festgehalten. Für vier Farbfelder haben wir jeweils ein Quadrat aus der Ausgangskonfiguration (links) in die Endkonfiguration (rechts) verfolgt; das deuten die grauen Pfeile an. Wie es sich trifft, landen die hier verfolgten Lichtfelder allesamt auf ein und derselben Höhe des Auffangschirms (5. Zeile von unten). Man kann sich aus der Logik der Abbildung klarmachen, warum an dieser Stelle kein grünes Licht ankommen kann – dort treffen sich also sämtliche Farben außer Grün; das Mischungsergebnis aller dieser Farben ist die Komplementärfarbe von Grün: Purpur. Damit ist die purpurne Mitte des Goethespektrums erklärt (ganz rechts); analog laufen die Erklärungen der anderen Farben des Goethespektrums. Wenn man einen Schritt zurücktritt, sieht man das Muster hinter dieser Erklärung: Die unwirksame Lücke findet sich im Ausgangsbild in einer horizontalen Reihe; wenn sich die bunten Umgebungen dieser grau gebliebenen Zeile – je nach Farbe – verschieden weit nach oben bewegen, dann bewegen sich auch die grau dargestellten Lücken verschieden weit nach oben und bilden eine Diagonale. Die Lücke im Blau landet also weiter oben als die im Türkis usw. Im Kern geht diese Erklärung auf Newton zurück (§OM§II.3.20). Sie wurde Goethe von den Rezensenten seiner Beiträge zur Optik entgegengehalten (§OM§II.3.21). Goethe hat sie verstanden und als erster in eine übersichtliche Darstellung gebracht.
Die unorthodoxe Erklärung des NewtonspektrumsDie unorthodoxe Erklärung des Newtonspektrums: Die orthodoxe Erklärung des Goethespektrums war kompliziert, aber unter newtonischen Vorzeichen völlig konsequent (Abb. »Die orthodoxe Erklärung des Goethespektrums«). Ihre Logik lässt sich leicht umkehren. Demzufolge setzen sich nun nicht die weißen Licht-, sondern die schwarzen Finsternisquadrate aus fünf Farbfeldern zusammen, und zwar aus den Komplementärfarben der ursprünglichen Erklärung (also aus Gelb, Rot, Purpur, Blau, Türkis). Hier kommen zwar auch vier Farben der ursprünglichen Erklärung vor (alle außer Purpur), aber mit neuen Refrangibilitäten: Die Rolle des newtonischen blauen Lichts wird nun von dessen Komplement übernommen; d.h. nun kommt dem Gelb stärkste Refrangibilität zu. Wie exemplarisch durch zwei Pfeile von links nach rechts angedeutet ist, lässt sich in diesem Stil die grüne Mitte des Newtonspektrums erklären; entsprechende Überlegungen führen zur unorthodoxen Erklärung der anderen Farben des Newtonspektrums. Jede dieser Farben ist demzufolge höchst heterogen und besteht jeweils aus allen Farben außer einer. Und die schwarze Einrahmung des Newtonspektrums besteht demzufolge aus allen Farben.
Additive und subtraktive FarbmischungAdditive und subtraktive Farbmischung: Links sehen Sie die Mischungsregeln, auf denen die Farbdarstellung am Computerbildschirm beruht: Aus Lichtern der drei deutlichsten Farben in Newtons Spektrum (Rot, Grün und Blau) lassen sich – ganz im Einklang mit Newtons Theorie – alle anderen Farben mischen, und zwar durch Überlagerung (Addition). Dargestellt sind hier nur die Mischungen aus jeweils gleichstarken Lichtern der jeweiligen Farbe. So entsteht das aus Goethes Spektrum bekannte Purpur additiv aus Blau und Rot. Überraschend wirkt die additive Mischung des Gelb aus Grün und Rot. Rechts sehen Sie die sogenannten subtraktiven Mischungsregeln, auf denen der Dreifarbendruck beruht. Interessanterweise liegen dieser Art der Farbenmischung exakt die wichtigsten Farben aus Goethes Spektrum zugrunde: Türkis, Purpur, Gelb. Und in der Tat, wer diese Farben aus Goethes Spektrum aussondert und prismatisch (im Hellen) überblendet, der kann daraus die wichtigsten Farben des Newtonspektrums herstellen – offenbar ebenfalls additiv. Daher führt die Bezeichnung als »subtraktive Mischung« etwas in die Irre. Zwar lassen sich die dargestellten Mischungen auch subtraktiv durchführen, etwa mithilfe von Farbfiltern; aber das bietet nur eine der Möglichkeiten.
Die orthodoxe Prognose fürs Experiment von Eric OberheimDie orthodoxe Prognose fürs Experiment von Eric Oberheim: Wir lassen einen schmalen Schatten durchs Prisma fallen, der von homogenem grünen Licht umspielt wird (ganz links). Rechts daneben das Versuchsergebnis: Ein schwarzer Fleck in grüner Umgebung, um drei Einheiten nach oben verschoben. Auf der rechten Hälfte der Graphik sehen Sie die newtonische Analyse dieses Experiments: Eine Lücke im Grün bewegt sich im Gleichklang mit seiner grünen Umgebung nach oben. Auf der nächsten Abbildung zeigen wir die unorthodoxe Erklärung desselben Sachverhalts.
Die unorthodoxe Erklärung des Experiments von Eric OberheimDie unorthodoxe Erklärung des Experiments von Eric Oberheim: Laut Heterogenität der Finsternis gibt es kein homogenes Grün; grüne Farbeindrücke setzen sich aus Finsternisstrahlen aller Farben zusammen mit Ausnahme der purpurnen. Dadurch erklärt sich die grüne Umgebung des schwarzen Flecks im Ausgangsbild des Experiments (linke Hälfte der Graphik). Zudem ist der schwarze Fleck keine Lücke in den optischen Wirkfaktoren, sondern aus Strahlen aller Farben zusammengesetzt, einschließlich Purpur. Rechte Hälfte der Graphik: Aus der diversen Refraktion der Ausgangskonfiguration ergibt sich das Versuchsergebnis. Dass sich die gelben, roten, blauen und türkisen Finsternisstrahlen verschieden weit nach oben bewegen, wird im Ergebnis nicht sichtbar, da von unten lückenlos immer neue Strahlen dieser Farbe nachrücken. Einzig augenfällig wird die Verschiebung des einen purpunen Finsternisstrahls um drei Einheiten; da er sich also weiter oben mit all seinen andersfarbigen Kollegen vermengt, wandert der schwarze Fleck genauso weit nach oben.
KippbildKippbild: Wer zwischen Heterogenität der Finsternis und des Lichts entscheiden will, der muss willkürlich festlegen, was als wirkungsloser Hintergrund des optischen Geschehens zählen soll: Dunkelheit oder Helligkeit? Der Übergang von der einen Theorie zur anderen bringt eine Art Gestaltwechsel mit sich, wie sie aus der Wahrnehmungspsychologie bekannt sind. Unsere Abbildung zeigt ein Kippbild mit hell/dunklem Gestaltwechsel: Anhänger der Finsternis sehen einen Saxophonspieler, Anhänger des Lichts ein Frauengesicht. [Mit freundlicher Genehmigung von Roger Shepard].
Die Weisssynthese des Desaguliers (1714)Die Weißsynthese des Desaguliers (1714): In Desaguliers' Weißsynthese schaut der Experimentator durchs brechende Prisma auf den bunten Schirm (rechts farbig dargestellt) und sieht (hier nicht dargestellt) das Syntheseresultat: einen weißen Fleck, das Sonnenbild.

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