| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei): So, wie Goethes Farbenkreis auf uns gekommen ist, kann man ihn nicht gebrauchen; die Farben sind ausgebleicht, und der Farbdruck in den existierenden Ausgaben der Farbenlehre lässt zu wünschen übrig. Abgesehen davon hat Goethe seinen Farbenkreis auf der ersten Tafel zusammen mit zehn anderen Abbildungen veröffentlicht; daher ist der Kreis kleiner, als guttäte. Insbesondere sieht man diesem Kreis den grobkörnigen, unregelmäßigen Mehrfarbendruck jahrzehntealter Bücher an; für bibliophile Zwecke ganz schön, für farbwissenschaftliche Zwecke unbrauchbar. In den nächsten Abbildungen zeigen wir verschiedene Rekonstruktionen und Verbesserungen dieses Kreises. Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Wir haben uns Goethes Farbenkreis nicht mit den Mitteln des Denkmalschutzes genähert. Wer wissen will, wie Goethes Kreis seinerzeit ausgesehen hat, der müsste die damals verwendeten Pigmente ermitteln und zur Kolorierung benutzen. Ich habe darauf verzichtet, diesen konservatorischen Weg zu beschreiten, denn ich interessiere mich dafür, wie Goethes Farbenkreis idealerweise aussehen sollte. Es könnte sich durchaus herausstellen, dass es Goethe nicht gelungen ist, das zu realisieren, was er mit seinem Kreis bezweckte. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet): Für diese Abbildung hat Matthias Herder den Farbenkreis Goethes aus einem Nachdruck gescannt (siehe vorige Abbildung) und die viel zu grobkörnigen Pixel und farblichen Unebenheiten, die von mangelnder Druckqualität herrühren, durch Verwischungen beseitigt (und zwar mithilfe eines Gauß'schen Weichzeichners). Wieweit sich dies Ergebnis einerseits von Goethes Intentionen, andererseits von der damaligen Realisierung des Farbenkreises unterscheidet, lässt sich kaum noch feststellen. Eine genauer Blick auf die Farben dieses Kreises zeigt (in der nächsten Abbildung): Die Blautöne dieses Kreises sind suboptimal. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet, im neutralgrauen Rahmen): Dies bietet den vorigen Kreis, eingebettet in einen neutralgrauen Rahmen. Zwar wirken die Farben links (Orange bzw. Gelb) sowie unten (Grün) und oben (Purpur oder Rot oder Altrosa) nicht unüberzeugend. Aber die rechten Farben bieten keine akzeptable Rekonstruktion dessen, was Goethe bezweckt haben kann. Rechts oben steht ein blassgraues Blau, rechts unten ein verwandter Farbton, nur heller. Es müssten aber sattere Violett-, Blau- oder Türkistöne sein, und die beiden rechten Farben müssten sich stärker voneinander unterscheiden. Ein weiterer Makel des Kreises wird in der kommenden Abbildung enthüllt: Anders als Goethe es wollte, stehen einander hier keine Komplementärfarben gegenüber. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet, im neutralgrauen Rahmen, farbinvers): Hier ist das Farbnegativ des vorigen Kreises, gewonnen mithilfe der Farbinvertierung eines gewöhnlichen Programms für Bildbearbeitung. Der neutralgraue Hintergrund hat sich nicht verändert; er ist sein eigenes Farbkomplement. Lägen einander im Kreis aus der vorigen Abbildung genau Komplementärfarben gegenüber, so müssten sich dessen Farben auch im augenblicklichen Kreis wiederfinden; z.B. müssten die grünen Felder der beiden Kreise farblich übereinstimmen. Das ist nicht der Fall; sie ähneln sich nicht einmal – genauso wenig wie die anderen Farben der beiden Kreise. Hier ist ein Lichtblick des neuen Kreises: Diesmal wirken die Blautöne (links) einigermaßen überzeugend; das entspricht der Überzeugungskraft von Gelb und Orange im vorigen Kreis. Doch sehen wir im neuen Kreis dort, wo sich rechts Gelb und Orange finden müssten, nur braune oder ockerfarbene Farbtöne – entsprechend den Fehlschlägen beim Blau im vorigen Kreis. Dass der vorige Kreis nicht die Farben seines eigenen Komplements enthält, legt den Gedanken nahe, diese Komplementarität zu erzwingen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, die in den nächsten beiden Abbildungen vorgeführt werden. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet und komplementarisiert, im neutralgrauen Rahmen): Um den Farbenkreis aus der vorletzten Abb. »Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet, im neutralgrauen Rahmen)« in Sachen Komplementarität zu optimieren, ohne zu sehr in sein Farbmaterial einzugreifen, hat Matthias Herder jedes dortige Farbfeld (per RGB-Mischung) mit dem Komplement seines Gegenübers (wie in der vorigen Abbildung gezeigt) gemischt. Auch dieser Kreis wirkt suboptimal: das Gelb links unten wirkt ebenso wie das Orange links oben zu schmutzig. Deshalb setzen wir noch einmal neu an. Wir werfen die unüberzeugenden Farben fort, nehmen die guten Farben des ursprünglichen Kreises aus der vorletzten Abbildung und stellen ihnen ihr Farbkomplement gegenüber; das Ergebnis sehen Sie in der nächsten Abbildung. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet und von Purpur, Orange und Gelb aus komplementarisiert, im neutralgrauen Rahmen): Dieser Kreis bietet links und oben die (durch Weichzeichner gemittelten) Originalfarben des Farbenkreises von Goethe, also deren purpurrotes, orangenes und gelbes Feld (Abb. »Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet, im neutralgrauen Rahmen)«). Gegenüber von diesen Farbfeldern sehen Sie die per Farbinvertierung berechneten Komplementärfarben. Der Kreis ist wie gehabt im neutralgrauen Rahmen eingebettet. Da Goethe keinen neutralgrauen Rahmen vorgesehen hatte, werfen wir ihn in der nächsten Abbildung wieder aus dem Spiel. |
| Goethes Farbenkreis (Nachdruck von Matthaei, bearbeitet und von Purpur, Orange und Gelb aus komplementarisiert): Hier haben wir den Kreis aus der vorigen Abbildung wieder in Goethes ursprünglichen Abbildungshintergrund eingebaut, einschließlich der dunklen Begrenzungslinien der einzelnen Farbfelder. Wie nahe unsere Rekonstruktion dem kommt, was Goethe vorgeschwebt haben mag, lässt sich schwer sagen. Um den Blick zu weiten, werfen wir noch einen Blick auf zwei alternative Rekonstruktionen: einerseits Rupprecht Matthaeis Rekonstruktion (nächste Abbildung und folgende), andererseits diejenige von Ingo Nussbaumer (Abb. »Goethes Farbenkreis nach Nussbaumer«). |
| Goethes Farbenkreis nach Matthaei (in Neutralgrau eingebettet): Der erste seriöse Versuch einer Rekonstruktion des Goethe-Farbenkreises stammt von Rupprecht Matthaei aus dem Jahr 1933. Matthaei hat darauf aufmerksam gemacht, dass Goethes Farbenkreis vermutlich aus Spektralfarben gewonnen wurde; immerhin finden sich in fast allen noch so verblichenen Tafeln aus der Farbenlehre im Farbenkreis dieselben Farben wieder, die Goethe zur Darstellung der Endspektren benutzt hat. Matthaei war meines Wissens der erste, der die Farbenkreise in einer grauen Umgebung präsentiert hat; Goethes Farben kommen dadurch besonders prächtig zur Geltung. Doch nicht anders als bei Goethes Originalen hat auch hier der Zahn der Zeit die Farben zernagt; auch hier kann man aus den existierenden Exemplaren nicht viel über die Intentionen des Urhebers ermitteln. Klar ist, dass Matthaei gegenüberliegende Farbfelder komplementär einrichten wollte. Das ist nicht mehr der Fall, wie man durch Invertierung der vorliegenden Abbildung sehen kann; für diesen Test haben wir den augenblicklichen Farbenkreis sicherheitshalber wieder in neutrales – selbstinverses – Grau eingebettet, also im Vergleich zu Matthaei ein etwas helleres Grau benutzt. |
| Goethes Farbenkreis nach Matthaei (in Neutralgrau eingebettet, farbinvers): Dieser Farbenkreis entstand durch Farbinvertierung aus dem vorigen Kreis. Beim Vergleich der beiden Kreise ergibt sich deutlich, dass sich hier keine Komplementärfarben gegenüberstehen. Betrachten wir z.B. das obere Farbfeld, das ein zartes Türkis bildet. Es unterscheidet sich stark vom satten Grün aus dem unteren Feld des vorigen Farbenkreises. |
| Goethes Farbenkreis nach Matthaei (in Sachen Komplementarität korrigiert): Um den Makel des vorletzten Bildes auszumerzen, hat Matthias Herder jedes der Farbfelder computertechnisch invertiert (wie in der vorigen Abbildung gezeigt) und mit dem gegenüberliegenden Farbfeld additiv gemittelt. Es brächte erheblich größeren Aufwand mit sich, Matthaeis Bauanleitung für den Farbenkreis nachzuvollziehen und umzusetzen. Dieser Aufwand könnte sich lohnen. Denn das hier gezeigte Ergebnis ist weit von dem entfernt, was man sich wünschen würde: Insbesondere das Feld links unten sieht alles andere als sauber gelb aus. Abgesehen davon liegen das orangene Feld links oben und sein roter Nachbar ganz oben – rein von der farblichen Anmutung – nicht weit genug auseinander. In der nächsten Abbildung hat Matthias Herder den Versuch unternommen, alle diese Mängel zu beheben; mehr als ein halbwegser Kompromiss konnte dabei nicht herauskommen. |
| Goethes Farbenkreis nach Matthaei (farblich im Sinne der Farbenterminologie Goethes rekonstruiert): So, wie wir Goethes Farbenkreis aus der Schule kennen, enthält er rechts oben ein violettes Feld und links oben ein orangenes; das reine Rot steht dann ganz oben, dem Grün unten gegenüber. Matthias Herder hat für mich versucht, diesen überlieferten Farbenkreis aus Matthaeis Farbenkreis zu gewinnen. Nach seinem Bericht war es am schwierigsten, ein Violett zu finden, dessen Komplement noch als Gelb durchgeht; in der Tat sieht das erhoffte violette Feld (rechts oben) nur wie ein Blau mit ganz leichtem Rotstich aus. Das dortige Ergebnis passt zwar irgendwie zu Goethes Redeweise an vielen Stellen seiner Farbenlehre. Aber es passt nicht gut zu den Farben, die sich in Goethes wichtigsten Experimenten zeigen. So ist die mittlere Farbe im komplementären Spektrum, die oben im Farbenkreis stehen soll, eindeutig kein Rot, sondern das, was man Purpur, Magenta oder gar Pink nennen kann; Goethe selbst hat diese Frage oft als Pfirsichblüt bezeichnet. Und Pfirsiche blühen nicht rein rot, sondern eher rosa. Das alles legt es nahe, sich an Goethes Farbenkreis aus einer anderen Richtung anzunähern; statt von existierenden Abbildungen dieses Kreises auszugehen und deren Ausbleichung sowie ihre mangelnde Komplementarität improvisiert zu reparieren (wie in sämtlichen vorigen Abbildungen), könnte man bei Goethes wichtigsten Experimenten beginnen und die dort aufscheinenden Farben in den Farbenkreis einbauen. Ingo Nussbaumer hat das getan, wie Sie der nächsten Abbildung entnehmen können. |
| Goethes Farbenkreis nach Nussbaumer: Auf dem Umschlag seines Buchs Zur Farbenlehre hat Ingo Nussbaumer u.a. eine Rekonstruktion des Goethe-Farbenkreises angeboten. Die Farben Blau, Türkis, Gelb und Rot hat er dem kalten bzw. warmen Kantenspektrum entnommen, die Farben Grün und Purpur dem mittleren Feld der Endspektren. Da keines dieser sechs farbgebenden Felder im echten Spektrum einheitliche Farbtöne aufweist, hat Nussbaumer die sechs Farben mit dem Auge des Künstlers idealisiert. Dabei kam für jedes der sechs Farbfelder ungefähr dessen Farbdurchschnitt heraus; das ist diejenige Farbe, die man erhält, wenn man das fragliche Farbfeld aus seiner spektralen Umgebung ausschneidet und dann durchs analysierende Prisma wieder rückwärts synthetisiert, analog zur Weißsynthese des Desaguliers. Ein Vorzug dieser Rekonstruktion: Im Kreis stehen sich exakte Farbkomplemente gegenüber. Ein weiterer Vorzug: Jedes Feld aus Nussbaumers Farbenkreis ergibt sich aus additiver Mischung seiner beiden Nachbarn, liegt also wirklich farblich in der Mitte zwischen ihnen. (Ohne dass ich dies demonstriert hätte, ist das bei den zuvor betrachteten Farbenkreisen nicht der Fall). Wie dem auch sei, dieser neue Kreis unterscheidet sich stark von den zuvor betrachteten Kreisen. Um diesen Unterschied auf den Punkt zu bringen, könnte man sagen: Goethes überlieferter Farbenkreis ergibt sich aus Nussbaumers Farbenkreis durch kleine Drehung im Uhrzeigersinn; Nussbaumers Gelb wandert also ein Stückchen ins Rot (wodurch Orange entsteht), sein Rot wandert zum Purpur (und übertüncht es fast ganz), sein Purpur wandert zum Blau (und färbt es leicht violett ), sein Blau wandert ins Türkis (und verdunkelt es). Nur beim Gelb und beim Grün scheint es keine stark wahrnehmbare Farbänderung zu geben, die zu unterschiedlichen Farbnamen führen müsste (auch bei diesen beiden Farben hat freilich eine Verschiebung ins Bläulichere stattgefunden, sozusagen hinter den Kulissen). |